JOHN GREER
JOHN GREER

Geist zu Boden

“Ich versuch niemals das zu machen, was man eine reine oder abstrakte Form nennt.

An Reinheit, Einfachheit denke ich niemals;

den wahren Sinn der Dinge zu erreichen ist mein einziges Ziel.”

Constantin Brancusi

 

"Ich blickte auf ein Reiskorn - ich war gerade dabei es zu kochen - ich bemerkte, dass ich hungrig war und wenn ich den Reis essen würde, würde ich weiter leben und weiter denken. Es hatte also ein menschliches Potenzial. Wenn ich es in den Garten werfen würde, hätte es Wachstumspotenzial. Es wüsste aufgrund seiner Genetik, wie es zu mehr Reis heranwachsen würde. So sah ich auf das Reiskorn und es sah aus wie ein Stück Alabaster, es sah nicht aus wie ein Code oder eine Doppel-Helix. Ich sah es mir immer genauer an, und es sah ganz genau wie Stein aus. Ich war wirklich erstaunt über dieses Kristall, das wie Stein aussah. Es war hart wie Stein, es sah aus wie Stein, und es wusste, wie es zu Reis heranwachsen kann, wusste, wie es zu menschlichem Gedankengut werden kann. Also war es eine Zusammenfassung von Potenzial und deshalb musste es seine gesamte Vergangenheit kennen, meine Vergangenheit und seine Vergangenheit. Irgendwie reichte dieser Reis zurück bis zum Beginn von Zeit und Materie und Form. Als Materie, denn wir wissen, dass Dinge sich ständig verändern; über die Zeit hinweg nutzen sie ab, zerfallen in Partikel und durch Erschaffung und Druck werden Dinge neu gebildet. Irgendwie war auch Verstand da, irgendetwas ging in diesem Reiskorn vor. Das ließ mich erkennen, dass die Gegenwart eine Anhäufung der gesamten Vergangenheit ist. Die Vergangenheit entfaltet sich in der Gegenwart. Also ist Vergangenheit nichts, was vorbei ist. Die Gegenwart ist Vergangenheit. (...) Das ergab für mich Sinn." (John Greer)59

 

"9 Grains of Rice" (9 Reiskörner) 1991, ist eine Arbeit, die aus neun Objekten aus Carrara Marmor besteht, die in Form von Reiskörnern geschlagen sind. Sie sind direkt auf dem Boden positioniert, scheinbar wahllos. Tatsächlich benutzt der Künstler echte Reiskörner als Modell, indem er sie auf ein Blatt Papier wirft, um die Lage der Skulpturen in einer natürlichen Dynamik als Teil eines gegebenen Raumes zu bestimmen. Die reduzierte und verdichtete Form der Objekte irritiert zunächst, denn sie wirken vertraut, aber ihn dieser Größe entfalten sie eine neue formale Dynamik. Sie machen uns aufmerksam darauf, dass wir gehende Objekte zwischen ruhenden Objekten sind. Dieses Stadium der Ruhe ist jedoch nicht eines der Unbeweglichkeit, denn sie scheinen über dem Boden zu schweben. Sie wirken, als wären sie von irgendwo und sind hier nur auf eine glatte Bodenfläche abgelegt worden. Sobald man sie als Reiskörner erkennt, reflektieren sie auf unsere Größe, vermindern das Aufrechtgehen des Menschen und stellen die Frage einer relativen Wichtigkeit von "Wesen" und Objekt.

 

Das Weiße des Materials und die Verleugnung von Gewicht durch die Dynamik der reduzierten Form legen eine spirituelle Atmosphäre über das Werk. Der Sinn von Zeit und Raum, der mit dieser Arbeit eingefangen ist, liegt dem Raumverständnis von Isamu Noguchi sehr nahe: "Das Wesen der Plastik ist für mich die Wahrnehmung des Raumes, das Kontinuum unserer Existenz. Die Dimensionen sind alle nur als Maßangaben davon zu verstehen, da in der relativen Perspektive unserer Sicht Volumen, Linie und Punkt liegen und sich daraus Form, Entfernung und Proportionen ergeben. Auch Bewegung, Licht und selbst die Zeit sind Eigenschaften des Raums. Raum ist sonst nicht zu erfassen. Sie sind die Wesenselemente der Plastik und da sich unsere Auffassung von ihnen ändert, muss auch unsere Plastik sich verwandeln.

Da unsere Raumerfahrung jedoch auf kurze Zeitabschnitte begrenzt ist, muss Wachstum der eigentliche Kern unserer Existenz sein. Wir werden wiedergeboren und darum gibt es sowohl in der Kunst als auch in der Natur Wachstum, worunter ich eine auf das Lebendige abgestimmte Verwandlung verstehe. So nur kann Wachstum neu sein, denn Bewusstsein ist die sich ewig verändernde Anpassung der menschlichen Psyche an das Chaos. Wenn ich sage, Wachstum bedeute das unablässige Erfüllen der sich ausbreitenden Leere mit menschlichem Sinn, wie groß ist dann heute unser Bedarf, da unsere Kenntnis des Universums den Raum mit Energie gefüllt hat und uns einem größeren Chaos und neuen Verteilungen des Gleichgewichts entgegentreibt." (Isamu Noguchi)60

 

Mit den "9 Reiskörnern" versucht Greer genau diese Ahnung von Raum und Zeit als zueinander in Verbindung gesetztes Kontinuum einzufangen. Reis ist materialisiertes Potenzial. Er ist durch seine natürliche Bestimmung ein wichtiges Glied in der Nahrungskette von lebenden Organismen. Der essenzielle Faktor für Greer ist, dass Reis Potenzial für menschlichen Geist ist. Material ist im Zwischenfeld von diesen beiden Existenzformen. Greer drückt sein Verständnis von Zeit mit einer Metapher aus, die Sinn für ihn ergibt, lässt aber keinen Zweifel über die komplexen Zusammenhänge von Zeit und Raum. "In einer Redensart ist Raum eine Zwischenzone zwischen Kosmos und Chaos. Nimmt man ihn als das Reich all dessen, was möglich ist, ist er chaotisch; betrachtet als die Region in der alle Formen und Strukturen ihre Existenz haben, ist er kosmisch. Raum wurde bald mit Zeit in Verbindung gebracht, und diese Verbindung erwies sich als einer der Wege, um die aufsässige/ sich entziehende Natur des Raumes in den Griff zu bekommen." (Lexikon der Symbole)

 

Greers Verständnis dieses Phänomens ist beherrscht von dem Glauben an die Komplexität von Materie als Form von Erinnerung, von akkumulierter Geschichte in Form. Sie fungiert als Tür in die unendliche Vergangenheit, welche wiederum die Stellung von Materie in Bezug auf das, was wir Zukunft nennen, definiert. Für Greer ist "Geschichte" überaus subjektiv und Erinnerung ist objektiv. Seine Definition ist aus dem Verständnis von Erinnerung als etwas Körperlichem entwickelt, die körperliche Präsenz einer angesammelten Vergangenheit. Dieses Verständnis drückt seine Hinwendung zu Stein als Medium für Kunstobjekte aus. Er versucht eine Verbindung zwischen unserer körperlichen Existenz und dem, was er mit seiner Kunst visualisiert, herzustellen. "Kunst drückt aus, sie stellt nicht fest. Sie beschäftigt sich mit Existenzen in ihren wahrgenommenen Qualitäten, nicht mit Konzeptionen, die in ihren Bedingungen symbolisiert sind. Eine soziale Beziehung ist eine Angelegenheit von Gefühl und Verpflichtungen, von Beeinflussung und gegenseitiger Veränderung. In diesem Sinne muss "Beziehung" verstanden werden, wenn es benutzt wird, um Kunst zu definieren." (John Dewey)61

 

Greer benutzt natürliche Formen in seiner Arbeit. Es ist wichtig zu sehen, dass er Bilder repräsentativ benutzt und nicht bildhaft. Repräsentativ heißt nicht, dass er ein Reiskorn repräsentiert. Vielmehr nimmt er die Form eines Reiskorns um das Wesen dieser Form zu beschreiben, er definiert eine Beziehung. Jedes Material, jede Materie hat ihre Form und wir erstellen dadurch ein System der Wiedererkennung. Hinter dieser Individualität jedoch steht eine allgemeine Bedingung, die im Kern eine formale "Richtigkeit" enthält. Die wirkliche Erfahrung eines Objektes findet durch visuelle, taktile und geistig erfahrene Wahrnehmung statt. Greer versucht diesen essenziellen Vorgang der Erfahrung durch den Einsatz von Bildern zu definieren. Genauso wie er die Problematik von traditionellen Materialien als Problem sieht, fordert er das Problem von Darstellung heraus. Er wandelt Bilder in Bildhauerei, in Plastik um - und er wandelt den Betrachter um in ein rezipierendes und voll beteiligtes Gegenüber. So nehmen wir Stein wahr als Form von etwas, als Form, die Bezug nimmt auf bestimmte Erfahrungen auf einer ganz anderen Assoziationsebene. Diese Begegnung, die hilft die Sinne für das Wesentliche der Form zu schärfen, eröffnet die Möglichkeit zu verschiedenen persönlichen Interpretationen.

 

Die "Reiskörner" sind nicht ohne Oberflächendetails. Tatsächlich zeigen sie an einem Ende einen rauen, aufgebrochenen Teil in Analogie zu dem Teil eines Reiskorns, der die Spuren seiner Herkunft hinterlässt. Wieder finden wir die "gebrochene Kante" als Indikator für ein Kontinuum.

Die wesentliche Eigenschaft eines reduzierten und auf den Punkt gebrachten Form-Kanons, der an natürliche Formen von Unordnung erinnert (indem er kein systematisches Schema verwendet) ist ein Anliegen mit langer Tradition in der künstlerischen Artikulierung.

Ich zeige hier zwei Beispiele auf: "The beginning of the World” / "Der Anfang der Welt", 1920 von Brancusi, und den "Head of a canonical Figure" / "Kopf einer kanonischen Figur", eine antike kykladische Arbeit. Bei näherer Betrachtung dieser Arbeiten wird offensichtlich, dass sie wichtige Inspirationen für Greer waren.

In seinen "Ei-Formen reduziert Brancusi nicht zu einer "Vereinfachung", denn das Ei - und im Besonderen die von Brancusi gearbeiteten Formen - ist keine geometrische Form. Es ist extrem einfach, aber auch extrem in dem Sinne, dass es nicht messbar ist. "Das Einfache Brancusi’s ist das äußerste Gegenteil zur Eindeutigkeit des Geometrisch-Axiomatischen. 'Einfachheit ist kein Ziel, sondern eine unumgängliche Annäherung an den wahren Sinn der Dinge', heißt es bei Brancusi (Giedion-Welcker 1958,21). Brancusi’s Einfachheit betont die Unersetzlichkeit der Dinge, zu der als Bedingung die Nicht-Konstruierbarkeit gehört. Konstruierbar, wiederholbar sind die Objekte des Naturwissenschaftlers und der Industrie, nicht aber die Dinge, mit denen wir leben." (Dieter Rahn)62

 

Nach Aussagen von Brancusi, sah er die Idee hinter den Objekten als ihre wesentliche Existenz und wird in dieser Hinsicht in Verbindung mit Platons Ideen von Plastik als harmonische, ideale Formen, die fernab von allem Zufälligen oder unregelmäßigen stehen, gesehen. Tatsächlich aber ist Platons Unterscheidung von einer äußeren Form der Dinge und ihrer tieferen Bedeutung im Kern kein Betrachtungspunkt in Brancusis Arbeit. Asymetrische und irreguläre Elemente in einem Kunstwerk wären für Platon ein Teil des Reiches von Vielfalt - und würden sich so auf die Welt des bloßen Scheins beziehen.

 

"Brancusis Plastiken jedoch unterdrücken nicht die Unregelmäßigkeiten des Schicksals und die Abweichungen des Lebens, die Asymmetrien des Daseins, die eine solche Einheit nur verdunkeln können. Sie bringen eben sie in ihren elementaren Strukturen zur Sprache. In der Einfachheit Brancusis ist die Vielfalt keine zu überwindende Scheinwelt. Sie gibt der Einfachheit ihr Leben. Es ist gerade das erdhaft Irdische in seiner Undurchdringlichkeit, das hier, in der Rhythmik von plastischer Figur und Architektur des Sockels, realisiert wird." (Dieter Rahn)63

 

In diesem Sinne ist es falsch, Greers künstlerischen Ansatz als Mimesis zu bezeichnen, denn seine Arbeit beschäftigt sich nicht mit der Darstellung eines Objektes. Sein Werk handelt von den unendlichen Qualitäten des Lebens in seiner binären Eigenschaft von Idee im Gegensatz zu Materie, welche durch Form in Materie erfahren werden kann. Für Greer ist Materie oder Material kein Rohmaterial, das zuhanden ist für eine fiktive Idee von Fortschritt und menschlichen "Erschaffens". Material ist für ihn komprimierte Erfahrung, der er versucht, durch die Erfahrung eines Kunstwerkes, Leben einzuhauchen.

 

Wenn wir uns dem "Kopf einer kanonischen Figur" zuwenden, einem Beispiel früher kykladischer Kunst, ist es bemerkenswert Greers Bewunderung für diese Arbeiten herauszustellen, die er um so mehr verehrt, da sie ursprünglich nicht als Kunst gemeint waren. "Wenn wir den großen kykladischen Kopf aus der Goulandris Sammlung betrachten, kommen wir nach und nach zu dem Empfinden einer für uns wesentlichen Errungenschaft, einem bemerkenswertem Kunstwerk. Die Einfachheit der Form wird nicht banal, wenn wir hinsehen, noch teilen sich die Elemente der Form, sodass wir sie adäquat in Worten beschreiben und auf diese Weise verfehlen könnten. Die Qualitäten scheinen dem Werk immanent zu sein, in Ruhe und Autorität im Marmor vorherrschend. (...) Wenn wir uns dem kykladischen Kopf im Licht der Abstraktion und der Repräsentation zuwenden, sehen wir, dass dieser tatsächlich zum Wesentlichen reduziert worden ist. Aber dieses Wesentliche sind nicht einfach geometrisch bestimmbare Formen: Kreise, Ellipsen oder Zylinder. Da ist nichts Jungfräuliches am Weg, der zum Erreichen der Form führte. (...) Kykladische Skulptur bietet eine große Anzahl von konsumierbar vollendeten Lösungen vom immerwährenden Problem des Bildhauers, der Repräsentation des menschlichen Kopfes in einer Art und Weise, die Form eher als Oberflächendetails nutzt, um Vitalität und Würde herauszulösen." (Colin Renfrew)64

 

Greer nimmt diese Vitalität und Würde auf, indem er Bilder als Metaphern benutzt. Das Wesen von Vitalität zu begreifen heißt für Greer nicht, die taktilen Qualitäten des Objektes zu reduzieren. Sein Medium ist das Objekt, und so benutzt er Details der Oberfläche und der Form um den Betrachter mit einer Sprache zu erreichen, die durch Objektqualitäten, die sich auf das Leben beziehen, verständlich wird. Diese formalen Elemente sind keine Bilder, sondern - und das ist wichtig in Bezug auf die Vergrößerung der Objekte - sie sind wesentlich in dem, was sie sind, Form in Stein, die, in Bezug auf die Person, eine neue grundsätzliche Begegnung ermöglicht. Seine Art Bilder zu benutzen, wie ich schon im Kapitel WElcoME beschrieb, haben eine Ready-Made Qualität im Sinne von Duchamp. Greer benutzt seine Bilder um dem Betrachter eine wesentliche Eigenschaft in der Begegnung mit einem Kunstwerk zu eröffnen. Herbert Read bezieht sich auf "Vitalismus" (vitalism) in Verbindung mit Brancusi, als dem Pionier des universellen Elementes der Spiritualität in der Bildhauerei, zusammen mit anderen modernen Bildhauern wie Picasso und Moore: "Er (Picasso) versucht in seinen Formen verschiedene vitale Kräfte von sozialer Wichtigkeit zu repräsentieren - die Anima, die wir in alle belebten und unbelebten Gegenstände hineinprojizieren, die Qualität, die die Chinesen ch'i nennen, die universelle Kraft, welche durch alle Dinge fließt, und welche der Künstler mit seinen Kreationen aussenden muss, wenn sie andere Menschen ansprechen sollen. Dieser Vitalismus (vitalism) wie ich es nennen möchte, war das Verlangen und Bestreben von einem beherrschenden Typ des modernen Bildhauers." (Herbert Read)65.

 

Greer möchte nicht nur eine vitalistische Qualität in seinen Skulpturen einfangen, sondern durch die Positionierung der Objekte und der Symbolik, die er benutzt, definiert er die Erfahrung eines Kunstwerkes als eine Sinn gebende Begegnung, eine lebensbejahende Erfahrung. Mimesis ist also ein Mittel einer Sprache für ihn, um die Aura der Kunst mit dem Wesen von erfahrenem Leben zu verbinden.

 

Ein sehr schönes Beispiel in Weiterführung des beschriebenen Ansatzes ist das "Wasp Nest" (Wespennest) von 1993. Es ist in weißem Marmor ausgeführt, ungefähr 80cm hoch, in der Form eines Wespennestes. Die schwärmende Bewegung der Insekten ist im ovoid der Form festgehalten, welches diese Dynamik durch eine spiralförmige Oberflächenstruktur überträgt. Der weiße Marmor scheint sich, trotz seiner substanziellen Materialität, in einem Kontinuum aufzulösen, und im gleichen Augenblick wird es zum Behälter, da es ein hohles Objekt ist. Die Öffnung ganz oben ist ein poliertes "Nabel-Loch" - die Größe ist wieder in direkter Verbindung zum menschlichen Körper gewählt. Die angedeutete Bewegung und die Aktivität des Fliegens ist eine Antwort auf das menschliche Bedürfnis, Bewegungslosigkeit und Schwerkraft zu überwinden. Die Arbeit beschreibt einen geistigen Zustand und spricht durch ihre Form und ihre Eigenschaft als sinnlich zu ertastendes Objekt.

 

"Rose of Verona Rose" (Verona-rote Rose) von 1993 ist ein anderes Beispiel der Eigenschaften eines Objektes die ein Energie-Potenzial enthalten. Hier bezieht es sich auf ein sich entfaltendes Leben in einer natürlichen Form, eine Rose. Roter, lebhaft geaderter Marmor bedeutet lebende Farbe, Wärme von Blut in Stein, Leben, übertragen auf eine Pflanze in Stein. Das Potenzial ist dasselbe, welches die aufblühende Pflanze kurz vor der Blüte beherrscht. Die Größe provoziert die Idee eines ewigen Frühlings, die Macht von Wachstum in einem Ausbruch des erwachenden Lebens über den schlafenden Winter.

Rosen werden für Greer zu Metaphern die eine Erdverbundenheit definieren - im Gegensatz zu den spirituell geistigen Assoziationen des Reiskorns.

 

 

 

"7 Rosebuds in Iceland" (7 Rosenknospen in Island) 1994 besteht aus 14 Elementen, "7 Teile sind hergestellt, 7 Teile sind dem Land entnommen."(Greer). Die hergestellten Komponenten sind in der Form von fest geschlossenen Rosenknospen, ungefähr in der Größe eines menschlichen Kopfes. Sie sind alle von der gleichen Form gegossen und in einem tiefen, dunklen Blau patiniert, das wie mit Reif überzogen erscheint. Eine gleiche Anzahl von gefundenen, fast schwarzen vulkanischen Kristallen wird zusammen mit den Rosenknospen gezeigt. "Teil meiner Gedanken zu dieser Arbeit ist der Fluss von geschmolzenem Metall und der Fluss von geschmolzenem Stein. Das Lavagestein aus dem Herzen der Erde - vom geschmolzenen Kern. Die Abkühlung des Gesteins gibt dem Land seine natürliche Form. Die Abkühlung des Flusses von geschmolzenem Metall in einer Form definiert die kulturelle hergestellte Form einer Rose, der Rose als Kulturpflanze seit Tausenden von Jahren. Die Festigkeit und Dichte von Stein. Die hohle und klingende Bronze. Die Applikation von Säure auf dem durch eine Flamme erwärmten Metall, die die Farbigkeit eines kalten, dunklen Nachthimmels ergibt. Das Vulkanische temperiert durch Eis und Schnee. Das Heiße und das Kalte im Licht und in der Dunkelheit. Der kalte, salzige Atlantik, dessen Brandung auf vulkanisches Gestein aufschlägt. Die Erinnerung an Feuer, Leidenschaft in einer kargen, unwirtlichen Umgebung. Blumen, die inmitten der rauen, blanken Felsen verteilt sind. Verinnerlichtes Potenzial, das die verletzliche Sinnlichkeit enthält, die durch die Symbolik mitgegeben ist. Menschliche Gegenwart auf ewigem Land."(John Greer)66.

 

Es wird offensichtlich, dass das gewählte Material wichtig für die Bedeutung der Arbeit ist. Die Materialqualitäten von Bronze werden verglichen mit den Eigenschaften von vulkanischem Gestein - sie resultieren in einer sich einander ähnelnden Form. Jede der Rosenknospen ergibt in der Installation visuell ein Paar mit einem der Lava-Steine. Aufgrund der Dichte der Farbe und der enthaltenen Energie der Formen wird man regelrecht "geerdet" wenn man zwischen den Objekten umherläuft.

 

Diese Arbeit definiert den Betrachter als Kultur-Objekt. Wir untersuchen unseren eigenen Standpunkt nicht nur neu in Bezug auf die Objekte, sondern werden uns der menschlichen Begegnung in natürlichen Bedingungen gewahr. Als Betrachter vergrößert man die wiedererkannten Objekte sinngemäß im Verhältnis und stellt so psychologisch die Wertigkeit des Betrachters zu Natur wieder her. Greer beschreibt die Neudefinition von unserem Verhältnis zur Welt als "von der Welt sein". Die Dunkelheit der Farbe, die Härte der Formen, die Dichte eines Steines in Verbindung mit der zarten Spannung einer Rosenknospe visualisiert die extremen Bedingungen in Island. Es ist eine Situation, in der ein hoher Zivilisationsstandard sich den unwirtlichsten Bedingungen wie Kälte, Isolation, Kargheit und Zeiten ohne Sonne und Tageslicht gegenübersieht. Es ist eine fast melancholische Arbeit, die nicht über den Tod spricht, sondern über die Fülle des Lebens, ein Potenzial der Kraft von Wachstum, von einer Energie, die in einer Zivilisation vorherrscht, welche sich rohen, natürlichen Kräften gegenübersieht.

Die Rose steht hier als Sinnbild für Kultur, die der Natur aufgezwungen wird, und tritt in einen Dialog mit wirklich natürlichen Kräften. Nobuo Sekine, ein zeitgenössischer, japanischer Bildhauer beschreibt die Eingebung für künstlerische Auseinandersetzung in einem Verständnis, das dem von Greer nahe steht: "Es gibt Zeiten, in der wir die Dinge so klar sehen, als wären sie in eine magnetische Kraft eingewickelt. Eine neue und erfrischende Begegnung mit Dingen, die einfach so in der Wirklichkeit herumliegen. Es ist nur ein ganz kurzer Moment, und es ist nur eine ganz persönliche Erfahrung, aber in diesem Moment denken wir, dass wir die Perfektion aufrecht erhalten und machen sie universal. (...) Dieser Prozess ist in keinem Falle "Erschaffung" (creating). Es ist eher ein Wegwischen des konzeptuellen Staubes, der sich auf der Oberfläche der Dinge sammelt, dann, sie in das verkehren, was sie wirklich sind und die Welt die sie enthalten klar zu präsentieren. Sichtbar machen, was man nicht sehen kann. Und es geht nicht darum sie aus etwas heraus zu lösen, sie zu definieren und dann die Details ihrer Konstruktion nach außen zu tragen. Es geht vielmehr um die Stärkung ihrer Gegenwart. Wie Blumen, die man vom Feld herein trägt. Das Arrangieren von Blumen ist in keinem Fall ein Mittel um sein eigenes Ego zu sichern. Es ist vielmehr für die Blumen ein Geben von neuem Leben. (Nobuo Sekine)67 Mit dieser Aussage hält Sekine das Verständnis fest, dass Greer mit der Erfahrung des Menschen als Kultur-Objekt im Bezug auf Natur verfolgt.

 

Eine andere Arbeit handelt von dem Kultur-Natur-Aspekt ziemlich frei in gegensätzlicher Art und Weise. Mit "Thorns" (Dornen) 1993 formt Greer eine Aussage von Natur in drei Bronze-Objekte. Die Objekte haben die Form von Rosendornen, die vom Zweig abgezogen worden sind, aber noch einige Überreste der Rinde zurückbehalten haben. Die Patina ist dunkelbraun im unteren Bereich und löst sich in ein helles Gelb an der jeweiligen Spitze auf, welche, in Verlängerung einer leichten Kurve, in den Himmel deuten. Die aus Ihrem Zusammenhang gelösten Formen enthalten ein Element der Bedrohung. Sie stehen dem Betrachter wie Wächter im Dienst gegenüber in einer Höhe von ungefähr 80cm über dem Boden. Wir könnten sie als Sinnbild für den menschlichen Eingriff in die Natur sehen, einer konstruierten Natur, die in den kulturellen Zusammenhang passt. Mit diesen Objekten jedoch sehen wir uns plötzlich der anderen Seite gegenüber. Diese Begegnung verändert die normalen Größenverhältnisse und definiert so die Würde der Natur neu, mit Respekt vor der Erde, der Welt. Greers Dornen sind gesammelt und arrangiert für eine neu definierte Größenordnung der menschlichen Begegnung mit der Welt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Thinking Back to Gertrude and Henrie, 2015
Installation View retroActive with Threshold, 2015; Civilization, 1990/91; PaperMoney, 2012
Wait of Water by John Greer, 2014 Bay of Fundy Detail of Wait of Water, October 9th, 2014; retroActive tied up, tide down, looking back across the bay where the piece was first realized in 1972
National Gallery of Canada : THE PROUST QUESTIONNAIRE
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